Donnerstag, 23. Juli 2015

belesen [Naschmarkt] ... wenn das Vergessen nicht daher kommen will

Doron Rabinovici ist zweifelslos ein begnadeter Schreiber. Der 1961 in Israel geborene und hauptsächlich in Wien aufgewachsene Autor hat schön früh zahlreiche Erfolge feiern können. Häufig zu finden in seinen Werken sind die Themen Judenvernichtung, Schuld, Sühne, Vergessen und Erinnern.


So auch im Band "Ohnehin", wo es so manche mit dem Nichtvergessen können bzw. dem sich nicht Erinnern wollen und dem schweren Erbe des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen. Auch ich hatte zu kämpfen, nämlich mit dem Buch selbst. Denn so gut und ungemein wichtig genau diese Themen auch daherkommen, so richtig hineingelangt ins Buch bin ich nicht (ähnlich ist es mir übrigens auch schon mit dem Nachfolger "Andernorts" gegangen).

Die Geschichte ist ein Mäandern durch die Zeit, durch die Erinnerungen und das Vergessen mehrerer Personen und durch Wien. Im Leben des jungen Neurologen Stefan Sandtner scheint alles gerade ein wenig fad und lieblos. Die Beziehung mit einer Kollegin im Spital hat sich zerschlagen, doch er kann sie nicht vergessen. Das an sich wäre ja nichts Ungewöhnliches, und darum halt auch nicht wahnsinnig berauschend spannend. Die Freunde, mit denen er gelegentlich gerne am Naschmarkt sitzt, sind auch ein wenig mühsam, wie es mir scheint, und tragen wenig zum Vergessen helfen bei.

Durch die Begegnung mit der schönen ausländischen Künstlerin Flora angestoßen, nimmt sich Stefan eine Auszeit, vorgeblich um sich einem Forschungsantrag zu widmen behandelt er in dieser Zeit den kranken Vater ehemaliger Nachbarskinder, der sich als ehemaliger SS-Mann entpuppt - und irgendwie damit auch sich selbst. Was tut man mit dem Alten - man verhört ihn unter Medikamenteneinfluss. Logisch. Diese Aktion entwickelt sich auf mehreren Ebenen schon bald immer mehr zu einem richtigen Desaster, bis auch Stefans Leben völlig aus den Fugen ist!


(Foto: der vielfach ausgezeichnete österreichisch-israelische Autor Doron Rabinovici; gesehen auf: www.literarisches-zentrum-goettingen.de)


Woran es liegt, dass Mrs. Hyde trotz der gewinnenden Themen dennoch nicht so richtig begeistert war? Es könnte der für mich nicht ganz einfache Erzählstil sein. So ist der Hauptdarsteller Stefan nicht die einzige Hauptfigur, scheinbare Nebenfiguren werden plötzlich zu Hauptcharaktären gemacht und mit zahlreichen Details viel zu tief  in deren Leben eingetaucht. Das wirkt für mich zu wenig flüssig.

Zudem finde ich den Stefan leider gar nicht gelungen - die paar Ärzte, die man persönlich kennt, hängen selten am Naschmarkt und noch dazu mit KünstlerInnen herum.Zudem ist es in der heutigen Zeit komplett unrealistisch sich für einen Forschungsantrag(!) eine Zeit lang (3 Monate noch dazu!) frei zu nehmen, zumal für NaturwissenschafterInnen! Schön, wer das kann. Ich kenne niemanden!

Außerdem ist es doch eher müßig die Beschreibungen so mancher Wiener Institutionen und Lokalkolorit im Text erklärt zu bekommen, der Vergleich zu einem spannenderen Reiseführerbüchl drängt sich auf. Das hätte man alles ganz und gar legitim für Nicht-WienerInnen bzw. -ÖsterreicherInnen per Glossar im Anhang lösen können. Das wirkte auf mich nicht angenehm!


Mrs. Hyde bleibt am Rabinovici der tollen Themen wegen sehr gerne dran, sie fürchtet nur, mit "Ohnehin" wird sie nicht mehr warm werden. Vielleicht geht es Ihnen besser damit - einen Versuch ist es durchaus wert!

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