Mittwoch, 7. Oktober 2015

belesen [Weltliteratur] ... man kann nie genug Hackl lesen!

Mrs. Hyde gibt zu: besonders in diesem Jahr hat sie sich zu einem großen Erich Hackl-Fan entwickelt. Davor war sie schon seit Jahren ein kleiner. Natürlich, wer könnte auch einem so großartigen Autor, noch dazu ein österreichischer Star, seit "Abschied von Sidonie" (1989) und "Die Hochzeit von Auschwitz" (2002) widerstehen?

(Abb.: der sympathische und unglaublich bescheidene Autor; gesehen auf: www.salzburg.com)


Am meisten faszinierte mich bislang an Hackl, wie genau er für seine Themen, fast immer auch vor Ort, recherchierte. Seine zwar einfache ungekünstelte, jedoch nie banale Sprache, die knapp unter der Oberfläche dann doch irgendwie wieder schön und klingend ist, macht das Lesen der noch so grausamen und schwierigen Themen doch auch irgendwie sehr genussvoll.


"Sara und Simón - Eine endlose Geschichte" erschien als viertes großes Werk Hackls 1995. Ausgegraben im heimischen Fundus hat's die Hydinger natürlich gleich auf einen Sitz verschlungen. "Hackl-Hunger" nenn ich das fortan, wenn man ein Buch, ein Bücherl, zur Hand nimmt, mit gutem Gewissen ein GROSSARTIGES Werk genießen zu dürfen. Sätze daraus sorgfältig zu kauen im Hirn, im Herz mitzuleiden.

Die aus Urugay stammende blutjunge Sara Méndez ist Lehrerin, aus Leidenschaft, weil man die Kinder aus armen Elternhäusern doch auch zu mündigen und vernünftigen Erwachsenen erziehen muss. Sonst ändert sich nichts an den bestehenden Verhältnissen. Denkt Sara sich. Dass dieser fromme und durchaus einfache Wunsch sie und ihre Lieben in größte Gefahr bringen wird, war sie sich vielleicht nicht so ganz bewusst. Dass er ihr Leben und das ihres neu geborenen Sohnes Simón aufs Äußerste verändern und beschädigen würde sicherlich nicht.

Gefangen gesetzt muss sie Simón in einem Weidenkorb, den sie anstatt einer Wiege verwendet hatte, im Versteck im Exil zurücklassen. Sie hat die Hoffnung, das man das Baby dem Vater, auch auf der Flucht und permanent gejagt, zustecken wird können. Doch so kam es leider nie. Den kleinen Simón werden beide erst nach etlichen Jahren finden, nicht als Simón, nicht als ihren Sohn. Zunächst folgt für sie ein unmenschliches Martyrium, das wie so oft manchmal auch in völlig banale Handlungen und Erklärungen mündet.

"Am Morgen des 26. Juli wurden vierundzwanzig Gefangene, unter ihnen Sara, die Handschellen und Fußfesseln abgenommen. Sie wurden zum Wasserbecken getrieben, durften sich Hände und Oberkörper waschen. Dann stellte man sie, immer zu viert, vor einen Kleiderberg, Hosen, Kittel, Hemden, sie mußten rasch wählen. Manchmal berührten sich beim Wühlen, wie zufällig, zwei wunde Hände. Sobald sie angezogen waren, wurden sie in Reih und Glied ausgerichtet. Sie mussten stundenlang stehen, bevor es hieß: Kapuzen auf, die Augen geschlossen halten! Man klebte ihnen Heftpflaster auf die Augen und Lippen, legte ihnen wieder Handschellen an, warf sie in zwei Lieferwagen. In den Hohlraum über ihnen wurden Bretter gelegt, darauf kam, was die Männer bei den Überfällen erbeutet hatten, Fernseher, Recorder, Kaffeemaschinen, Lampenschirme, Bettwäsche. Mit eingeschalteter Sirene fuhren sie aus der Halle." (aus: "Sara und Simón" von Erich Hackl, 1997, S. 61)

Sara kommt nach jahrelanger Qual und Folter endlich frei, nur um sich in ein noch viel größeres Martyrium begeben zu müssen: Simón ist nicht bei seinem Vater noch bei ihren Familien! Der Säugling wurde nach ihrer Verschleppung nie gefunden!

"Sara ohne Simón, für wie lange. Beim Wäscheaufhängen im Hof sah sie die Kinder, die am Sonntag ihre Mütter im Gefängnis besuchen durften, hörte ihr Kreischen, sah einem Mädchen zu, das auf wackligen Beinen die ersten Schritte wagte, ehe es sich in die Arme seiner Mutter ward. Simón würde jetzt auch schon laufen." (aus: "Sara und Simón" von Erich Hackl, 1997, S. 87)

Die verzweifelte Mutter ohne Kind beginnt viele Nachforschungen, zu viele Sackgassen tun sich auf, immer wieder zerstörte Hoffnungen. Auch der neue demokratische Staat will Ruhe, schließlich sitzen die alten Leute von davor überall auf Posten, unschuldig, unbelangt.

Eines Tages findet sie wieder eine Spur, sie mag schon kaum mehr daran glauben, dass ein einst ausgesetzer und kurz danach adoptierter Junge ihr Simón ist. Selbst wenn er es sein sollte, er möchte es nicht sein! Wirklich eine endlose Geschichte, wie Hackl im Untertitel schreibt, denn das Leid hört nie auf.


Kürzlich konnte ihn die Hydinger bei einer Lesung aus seinem jüngsten Werk "Drei tränenlose Geschichten" (2015) endlich auch einmal in personam erleben. Ein so bescheidener, ruhiger und höflicher Mensch! Nun bin ich komplett von Erich Hackl eingenommen! Abgöttische Verehrung!

Mehr Hackl gefällig? Dann lest doch auch (nochmal) meinen Beitrag zu "Dieses Buch gehört meiner Mutter" im Blog.

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