Freitag, 10. April 2015

belesen [Ägypten] ... was Taxifahrer in Kairo zu erzählen haben

Aus dem Leben gegriffen war wohl selten zuvor eine derart passende Formulierung für ein Werk.

Das schmale Bändchen "Im Taxi.. Unterwegs in Kairo" von Chalid al-Chamissi (bzw. auch Khalid al-Khamissi geschrieben) ist zwar auf den ersten Blick unscheinbar jedoch dermassen reich mit Geschichten vollgepackt, es war eine reine Freude jede einzelne zu gustieren.

Mit gekonntem orientalischen Erzählstil fasst al-Chamissi seine Gespräche mit Taxifahrern in Kairo innerhalb einiger Jahre zusammen. Alle Geschichten spiegeln wahrlich fantastische Einblicke in den Alltag und die Gesellschaft Ägyptens wider. Von einem Einheimischen festgehalten.
 
(Foto: Buchcover von Chalid al-Chamissis Erzählband "Im Taxi", erschienen im Lenos-Verlag; gesehen auf:  http://www.lenos.ch/books/chamissi_taxi.htmlhttp://www.lenos.ch/books/chamissi_taxi.html)

Besonders deutlich werden die Sorgen und Nöte der Bevölkerung angesichts der politischen Lage (das Buch ist 2011 auf Deutsch bei Lenos erschienen): neben Repressalien der Taxifahrer von Polizei und Behörden, erlaubt es auch ein Gefühl für die Altagssorgen der ÄgypterInnen zu bekommen.


Die Variation der Erzählungen ist groß, hier eine kleine Gustostückl-Auswahl:

Amüsant wirkt zum Beispiel die Geschichte des schlafenden Fahrers. Die arme Haut schnarch während der Fahrt mehrmals sehr zum Schrecken des Fahrgastes mehrmals weg. Wie sich herausstellt muss er dringend 3 Tage am Stück fahren, um seinen Schulden für das Taxi abzahlen und Essen kaufen zu können. Schafft er es nicht verliert er neben dem Taxi als einizgen Lebensunterhalt auch alles andere. Ein anderer rechnete sich ganz genau aus, wie viel ihm so eine Hochzeit mit seiner hübschen Cousine alles kosten würde und dann müsse er auch noch den Haschisch und das Rauchen aufgeben - er entschied sich gegen die Heirat! :-)

Wütend machen die Hyde als emanzipierte Europäerin natürlich die stark religiös verblendeten Hetzen gegen Frauen, die manche der Fahrer vorbringen. Eine Frau, die arbeiten geht ist eine Schlampe, eine Frau, die zuhause ein Widerwort gibt ist eine Hexe, ... usw. Zwar geben manche auch unumwunden zu, dass die Männer heutzutage aggressiv den Röcken nachjagen und so die jungen Mädchen und ihre Ehre gefährden, Schuld sind natürlich die Frauen. Besonders ihr Lachen.
"Diese Mädchen müssen geschlachtet werden, nein, Schlachten ist noch zu gut für sie, die müssten verbrannt werden! Vermutlich ist das ein Zeichen für das Weltende - denn das Weltende naht. Dekadenz greift um sich, die Moral verfällt, Korruption macht sich breit."
(aus Chalid al-Chamissi "Im Taxi", 2011, S. 39).

Beschämend für die ägyptische Gesellschaft findet Mrs. Hyde auch die Erzählung eines Fahrers, der such wunderte, als sich eine zunächst komplett verschleierte Frau im Taxi umzuziehen begann. Der Familie erzählte sie, sie arbeite in einem Hospital, das ist "ehrbar". Tatsächlich muss sie als ganz normale Kellnerin arbeiten, weil sie da ca. 1000x(!) mehr verdienen kann. Nur geht das eben nicht verschleiert, dafür muss sie sich ein wenig schön machen. Die Schlampe wäre dennoch sie, nicht die Umstände sind es, die sie zu Heimlichtuerei zwingen, um Geld für ihre Familie verdienen zu können. Unfassbar, welch tagtägliche Repressalien Frauen in vielen Kulturen immer noch hinnehmen müssen!

Empörend auch die rassitischen und zutiefst antiisraelischen bzw. antisemitischen Ansichten mancher Fahrer und die Abscheu vor den Amerikanern. Einer sagte:
"Aber nun ist Krieg unvermeidlich. Die Israelis müssen einfach Krieg führen. Frieden wird sie umbringen, das wissen sie genau. Jeder Vorwand ist ihnen recht, um einen Krieg zu provozieren. Sie äugen nach Syrien und dem Irak, sie reizen Iran udn zündeln in Palästina. Sie wollen, dass die Region in Flammen aufgeht, damit sie noch mehr Geld von den Amerikanern bekommen und ihre Jugend noch zionistischer wird. Wenn sich die Lage beruhigen würde, würden die Juden allesamt nach Europa zurückkehren."
(aus: Chalid al-Chamissi, "Im Taxi", 2011, S. 48)

Kurios ist die Erzählung eines Fahrers, der ein wahres Börsenass zu sein scheint. nur irgendwie reich werden schafft er dank zu kleinem Startkapital und gehörig Pech dann doch nie.


Al-Chamissis Geschichten faszinierten wie schon lange keine "real life stories" mehr. Zum einen liegt es sicherlich an der Meisterhaftigkeit des Autors die Erzählungen auch stilistisch sehr gut aufbereitet zu bringen. Andererseits sind sie dennoch nicht zu verkünstelt, sondern die diversen Personen als Erzähler in all ihren menschlichen Besonderheiten erkennbar geblieben. Außerdem ist al-Chamissi auch ein Einheimischer und gibt clevere, prägnante Anmerkungen zur damals aktuellen Situation.


Ein tolles literarisches Fundstück!















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