Dienstag, 26. Mai 2015

belesen [Staatsfolter] ... in den Uranstollen hinter dem Eisernen Vorhang

Nachdem die Hyde manchmal, also eh oft, bei SciFi-Büchern und -Filmen hängenbleibt, dachte ich - lesn ma do wieda amoi an Östareicha! Josef Haslinger als einer der bekannten zeitgenössischen AutorInnen ist sicherlich jedem ein Begriff, wenigstens sein noch immer berühmtestes Werk "Opernball". Auf einer der letzten Bücherbörsen ist mir nun ein anderes Werk von ihm in die Fingerle geraten.

 
(Foto: der österreichische Autor Josef Haslinger; gesehen auf: www.frodo.at).


Die Geschichte von "Jáchymov" (2011) ist zunächst eine über staatliche Willkür, Verfolgung und Folter. Die zwei Hauptfiguren des Buches, der Verleger, krank an Morbus Bechterew, und die Tänzerin, Tochter eines der Inhaftierten in der Tschechoslowakei, bauen darüberhinaus allerdings auch ein ganz anderes Bild auf - das über die Auswirkungen dieser Mißstände hinter dem Eisernen Vorhang und wie sehr und wie lange sie tatsächlich nachwirken. Fast so ausdauernd wie das Uran im nunmehrigen Heilstollen von Jáchymov, dem alten Sankt Joachimsthal, einer alten Kurstadt am nordwestlichsten Rand des heutigen Tschechiens.


"Es gab eine erste Emigrationswelle von bekannen Persönlichkeiten, darunter waren auch einige Eishockeyspieler. Josef Malacek zum Beispiel. Er ging in die Schweiz und begann eine Trainerkarriere. Danach wurde er Redakteur bei Radio Free Europe. Aber die meisten Spieler entschlossen sich abzuwarten. Noch waren sie die Helden der jungen Tschechoslowakei. Und der kommuinistische Staat der sich unter der Hand herausgebildet hatte, brauchte solche Helden." (aus: "Jáchymov" von Josef Haslinger, Fischer Verlag, 2011, S. 120).


Das bedrückende an dieser Geschichte ist für mich weniger die Schilderungen der Schikanen zu lesen, sondern mehr noch sich vorzustellen, dass an allen Ecken und Enden weltweit ungeachtet des guten Rufs und wie in diesem Fall sogar ungeachtet der Heilwirkungen eines Ortes die Geschichte genau da auch ihr grausames Spiel getrieben haben kann und sehr oft auch wirklich hat. Dass Menschen nie davor gefeit sein können, auch nicht als Volkshelden, Weltmeister oder Olympiasieger nicht vielleicht doch allzu rasch in die grausame Maschinerie eines irren Systems zu kommen.

Bohumil Modry, dem mit diesem Werk ein Denkmal gesetzt wird, will sein Land trotz sich bietender Möglichkeiten nicht verlassen. Zu sehr glaubt er an die neuen Entwicklungen des Staates, und auch ein wenig an seinen Sonderstatus. Aufgrund konstruierter Verdächtigungen zu 15 Jahren Arbeit im damaligen Uranbergwerk von Jáchymov verurteilt. Jahrelang war es dem gefeierten Weltmeister (er war der Torwart der legendären Eishockeymannschaft und als solcher auch international geachtet) kaum erlaubt seine Familie zu sehen. Als er endlich freikommt, viel früher als ursprünglich befürchtet, ist er doch schon lange stark verstrahlt und löst sich vor den besorgten Blicken seiner 2 Töchter und seiner Frau praktisch auf.


Die indirekte Konstruktion eines Buches im Buch, das der Verleger gerne über den Vater der Tänzerin und seine Geschichte schreiben würde, die stete Anonymität der zweiten Hauptfigur der Tänzerin, die nicht einmal namentlich erwähnt wird, wie auch die Schilderung der Zermürbung durch die schwere Krankheit des Verlegers, die ihn ins heutige Jáchymov bringen, sind wahre literarische Glückskniffe, die gut miteinander harmonieren.


"Der Kreml [Anm.: so wurde eine Abteilung in einem Gefängnis von den Insassen unter der Hand genannt] war eine Art Hochsicherheitstrakt für geistig ansteckende Menschen. Dort waren die intellektuelle Vielfalt der alten Gesellschaft als Konzentrat erhalten geblieben. Die Eishockeyspieler trafen auf Generäle, Politiker, Priester, Professoren, Offiziere der östlichen und westlichen Armeen, Fluchthelfer aus Brünn, Lenora und anderen Städten." (aus: "Jáchymov" von Josef Haslinger, Fischer Verlag, 2011, S. 222).


Man merkt nicht nur bei den zum Teil längeren Eishockey-Schilderungen und historischen Statistiken - Haslinger hat dieses Bucht ausgesprochen gut recherchiert und sich doch im Großen und Ganzen sehr getreu an die Aufzeichnungen der tatsächlichen Tänzerin gehalten, die ihren Vater, einen der Superstars des tschechoslowakischen Eishockeys (wer Tschechen und Slowaken kennt weiß, wie sehr diese Sportler noch heute dort verehrt werden!), an die Folgen der langjährigen Folter verloren hat.


Ein ausgesprochen interessantes Buch!

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